Die Schmerzen eines Streuners (2)

30. Okt. 2023

Folge 2: Aristide.

Der sichtbar ältere, unkastrierte Kater fiel Anwohnern schon länger auf. Er suchte offensichtlich die Nähe der Menschen, legte sich sogar immer wieder auf der Fußmatte eines Privathauses ab. Was dem Laien erstaunlich, bisweilen „nett“ erscheinen mag, lässt bei uns Tierschützern die Alarmglocken schrillen. Wenn Wildlinge (bedingt) zutraulich werden, sind sie in der Regel krank, und bis sie das tun meistens so schwer, dass es häufig zu spät ist.

Für Aristide kamen wir rechtzeitig.

Die Futterstelle nahm er sofort an, erschien aber auch zunächst nicht regelmäßig. Als sich das änderte, zeigten mir die Bilder der Kamera ein tränendes, rechtes Auge und ein deutlich schmerzhaftes Tier. Aristide wartete auf mich, wenig später setzte er sich in kürzester Entfernung zu mir ab, während ich die Fallen mit frisch gefüllten Näpfen einrichtete. Scheinbar suchte er Hilfe, und so war es dann auch eine Sache von wenigen Minuten, dass er in die scharf gestellte Falle lief.

Die Vorstellung beim Tierarzt zeigte das ganze Ausmaß dessen, was ein (ungewöhnlich) langes Leben als Streuner anrichtete. Der Nachweis des FIV – Virus‘ ist davon sicher das kleinste Problem. Das rechte Unterlid war entzündet, die Bindehaut regelrecht „zerfleddert“. Wir dachten, dass es sich um eine frische Kampfverletzung handelte, aber das Auge ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Die abgebrochenen Canini hatte der Kater länger. Inzwischen reichte die Entzündung bis in die Wurzeltaschen, was höllische Schmerzen verursacht haben musste.

Den übelsten Befund zeigte die linke Vorderpfote. Dick geschwollen wie sie war, vermuteten wir ebenfalls eine akute Verletzung. Auf dem Röntgenbild sahen wir dann, dass dem nicht so war. Aristide musste sich einmal die Mittelhandknochen gebrochen haben, diese wuchsen krumm und schief zusammen, und mit der Zeit bildeten sich heftigste Arthrosen. Letztlich ist in diesem fortgeschrittenen Stadium des Geschehens auch ein Knochentumor nicht gänzlich ausgeschlossen.

Der Kater sitzt nun im kleinen Gartenhaus mit dem Freigehege und muss sich erst einmal von jahrelangem Mangel und Schmerzen erholen. Erstaunlicherweise scheint ihm, der sein Leben lang frei gelebt hatte, das recht gut zu gefallen. Er frisst Unmengen, verwertet die Nahrung aber ungenügend. Es wird sicher noch einiger Diagnostik und langer Zeit bedürfen, bis wir ein Management gefunden haben, das ihm einen guten, würdevollen Lebensabend ermöglicht. Wenn es richtig kalt wird, werde ich ihn ins Haus holen. Der alte, abgewrackte Haudegen soll nie mehr frieren und hungern müssen. Und natürlich hoffe ich, dass er lernt mir zu vertrauen um sich irgendwann in seiner ganzen Schönheit zu zeigen.

Verwendung des Röntgenbildes mit freundlicher Genehmigung der Kleintierpraxis Dres. Seifert und Marquart.

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