Die Schmerzen eines Streuners (4)

18. Nov. 2023

Folge 4: Bailee.

Sie erschien als eine der ersten Katzen an der neu eingerichteten Futterstelle, ging mir aber bedauerlicherweise als letzte in die Falle. Ein früherer Zeitpunkt hätte ganz sicher nichts an der Notwendigkeit der Euthanasie geändert, aber doch das (nach unserem Ermessen) unvorstellbare Leiden wenigstens ein wenig verkürzen können.

Es waren diese Sommertage, an denen ein Regenschauer dem nächsten folgte. Als wir die ersten Bilder sahen, dachten wir, die Katze sei vollständig durchnässt worden. Aber sie sah an trockenen Tagen ebenso schlimm aus, weshalb uns bald klar war, dass ein gravierendes Problem mit dem oder im Maul bestehen musste. Entweder konnte sie sich nicht mehr putzen, oder der Speichel verklebte das Fell. Wenn sie dann zum Platz kam, nahm sie dankbar das frische Trinkwasser an, das hinterher meistens deutlich eingetrübt war. 😔

Als ich begann Paté und insbesondere Süppchen anzubieten, wurden die Besuche häufiger. Jedes weitere Foto bestätigte unseren Verdacht: die Zunge hing aus dem Maul, dann seitlich ein „Irgendetwas“, lange Speichelfäden tropften heraus, und völlig erschöpft legte sich die Katze nach dem Fressen noch in der Falle ab. Es zerriss mir das Herz die Sequenzen zu sehen, in denen sie sich putzte und/oder verzweifelt an dem im Inneren zugeschwollenen Mäulchen rieb.

 

 

Aber kaum kam sie einmal 2 Tage hintereinander, erschien sie dann, wenn ich Wache hielt, wieder nicht. Viele Nächte verbrachte ich im Auto bis es am 11.10. endlich Bailee war, die in der Falle saß. Sie stank erbärmlich – alleine das schon eine Qual für ein so reinliches Tier. Das Fell lag fast bretthart am Körper und war natürlich zusätzlich völlig verdreckt. Die Flöhe hüpften darauf herum, dass noch keine Fliegeneier abgesetzt waren, erschien uns wie ein Wunder. Die Katze war sehr dünn, wenn auch noch nicht zum Skelett abgemagert. Ich schöpfte ein wenig Hoffnung, aber der Blick in die Maulhöhle zerstörte diese brutal. Selbst mein Tierarzt war aufrichtig erschüttert.

Die Zähne teilweise verfault und voller Zahnstein. Geschwüre füllten einen Großteil des hinteren Maulbereichs aus und drückten bereits die Zunge, auf der eine dicke Schicht von Eiter lag, zusammen. Sie waren blutig aufgebissen, zum Teil schon nekrotisch. Es war völlig unerheblich, ob es sich „nur“ um entzündliche Zubildungen oder bösartige Tumoren gehandelt hatte, wir hätten das niemals auf einen guten Weg bringen können.

Wie hatte die Kätzin so noch fressen wollen und können? Wieso hatte sie nicht schon lange aufgegeben? Und vorallem: wie hatte sie die unsäglichen Schmerzen ausgehalten?
Wir ließen sie gehen, und ich brachte sie noch am selben Tag zurück in ihren Wald, wo ich den Körper auf weichem Moos unter einer Baumwurzel bettete.

Bailee war keine junge Katze, aber so alt auch nicht. Der grauenvolle Zustand ihrer Maulhöhle, war keine Frage des Alters sondern schlimmster Verwahrlosung. Es ist ja nicht so, dass alle Tumoren, einfach als solche entstehen. Gerade denen im Maul gehen in der Regel lange Prozesse voraus, die bei rechtzeitiger Behandlung aufzuhalten wären. Am Anfang steht zumeist eine Entzündung des Zahnfleisches, verursacht durch z.B. Caliciviren oder dicke Zahnsteinbeläge. Die Halteapparate werden angegriffen, manchmal fallen die Zähne aus, vereiterte Wurzeln bleiben. Entzündungen wuchern zu Geschwüren, die dann im Endstadium auch bösartig werden.

Geboren in ein Streunerleben ohne jede Betreuung hatte Bailee keine Chance auf Behandlung.
Die Bilder der Katze werden lange schmerzvoll in unserem Gedächtnis verbleiben. Einmal mehr wünschte ich mir, die Zeit zurückdrehen zu können, diese Kämpferin zu einem Zeitpunkt getroffen zu haben, zu dem Heilung noch möglich gewesen wäre.

Verwendung der Untersuchungsbilder mit freundlicher Genehmigung der Kleintierpraxis Dres. Seifert und Marquart.

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