Was muss dieser Kater ertragen?

30. Nov. 2022

Stubbi kam Mitte 2021 als Sicherstellung durch das Veterinäramt in’s Tierheim. Sein Halter trat eine Haftstrafe an, und die Ansage, das Tier auf keinen Fall zurück zu geben, ließ Schlimmes ahnen. Die Bestätigung fand sich im Verhalten des ungefähr zehnjährigen Katers: er schlug und biss sobald man sich ihm näherte. Auch den Umzug zu mir verkraftete er zunächst gar nicht. Die fremde Umgebung versetzte ihn in Panik. Er weinte herzzerreißend und urinierte vor Angst unter sich, als ich ihn beruhigen wollte. Bei jeder unvorsichtigen Bewegung flüchtete Stubbi und kauerte sich in die nächste Ecke. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er sich schützend die Arme über den Kopf gehalten. Was muss dieser Kater an Gewalt und Willkür erfahren haben? Ich glaube, ich möchte lieber nicht wissen, wie er sein linkes Hinterbein verlor.

Trotzdem gelang es den engagierten Katzenstreichlern im Heim, ihn auf einen guten Weg zu bringen. Bereits im Herbst fand sich eine Familie, die ihm ein Zuhause gab. Aber Stubbi’s Glück sollte nicht von Dauer sein. Die gesundheitlichen Baustellen, insbesondere das heftige Erbrechen, verschlimmerten sich. Hilflos und mit den Nerven am Ende, wussten sich seine Menschen keinen Rat, als ihn an den Tierschutzverein zurückzugeben.

Es war ein Auf und Ab, mehrere Klinikaufenthalte eingeschlossen. Die Diagnose lautete auf Pankreatitis und Darmentzündung oder (wahrscheinlicher) ein Lymphom. Das in regelmässigen Intervallen auftretende Erbrechen erklärte dieser Befund jedoch nicht. Die Ursache hierfür fand dann der hervorragende Sonograph „meiner“ Tierarztpraxis: einzelne Abschnitte des krankhaft veränderten Dünndarms arbeiten träger als der Rest mit normaler Motilität. Futterreste und vor allem Flüssigkeit werden nicht in den Dickdarm weitertransportiert. Irgendwann sind sie so aufgefüllt, dass zur Entleerung nur noch der Weg nach vorne bleibt. Eine seltene und häßliche Verkomplizierung der Krebserkrankung, die begleitet wird von Übelkeit, Inappetenz und auch Bauchschmerzen. Die Darmgeräusche sind dann so laut, dass der Ausdruck „es zerreisst ihm die Gedärme“ eine schlimme Anschaulichkeit bekommt. Natürlich ist der große, schöne Kater (zu dessen Ahnen sicher ein Maine Coon zählt) auch viel zu dünn.

Heilung ist ausgeschlossen. Ich kann nur lindern und jeden Tag angepasst managen. Wenn es ihm gut geht, geniesst Stubbi sein Leben hier sehr. Die größte Freude ist ohne Zweifel der Garten, in dem er durch das Laub hoppt und gar kein Ende findet, alle Gerüche und Eindrücke aufzunehmen. Im Haus hat er seine festen Kuschelplätze, wenn er nachts irgendwann in’s Haus kommt, legt er sich zu mir an das Fußende. Die anderen Katzen haben sich zum Glück weitestgehend an seine etwas grobere und lautere Motorik gewöhnt, und er sich an sie.

Aber diese glücklichen Phasen werden kürzer. Das Erbrechen kündigt sich an, und doch kann ich nur nahezu machtlos abwarten, bis es vorüber ist. Ich hatte selten einen Patienten, der mein Wissen und meine Emotionen so stark forderte.

    

Ich hoffe, dieser wunderbare, tapfere Kater merkt, dass er von nun an weder seine seelischen Traumata noch seine Krankheit alleine tragen muss. Ich kämpfe für und mit ihm um jeden einzelnen beschwerdefreien, guten Moment. Wenn diese die schlechten nicht mehr überwiegen, muss ich eine Entscheidung treffen. Der Tag wird nicht fern sein, aber ich will ihn jetzt noch nicht denken.

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