Die Schmerzen eines Streuners (1)
Folge 1: Occhio.
Der Kater tauchte vor wenigen Wochen an unserem Dauerfangplatz auf. Hormongetrieben folgte er Katze Mausi (die natürlich kastriert ist 😉) in den Garten ihres Zuhauses und kam sogar bis auf die Terrasse. Ich wurde sofort informiert, auch deshalb weil der Kerl nicht nur dicke Katerbacken sondern auch ein sichtbar verletztes Auge hatte.
Es folgte das übliche Vorgehen: eine Falle wurde aufgestellt, die Wildkamera eingerichtet. Der Luxus für mich: Mausis Frauchen ist engagiert und geübt und übernahm die Betreuung der Ausrüstung eigenständig (Danke dafür!). Der Kater kam zunächst unregelmässig, dann häufiger und recht nah. Es schien fast, als suche er Hilfe. Aber zunächst erschien einmal der nächste Verehrer ; auch er mit deutlich rundem Katergesicht. Valentin ging als erster in die Falle und befindet sich jetzt, nach einem Eingangscheck in „meiner“ Tierarztpraxis, im Tierheim.
Zwei Tage später folgte Occhio (ital. Auge). Die Erstuntersuchung ergab eine leichte Entwarnung für das Auge selbst, eine üble Schürfwunde mit starker Schwellung darunter, schlechte Zahngesundheit, ein viel zu geringes Gewicht und eine verschärfte Atmung. Selbstredend war er unkastriert und ohne Kennzeichnung.
Die Tage waren zu der Zeit sonnig, so dass ich ihn erst einmal im Gartenhaus einquartieren konnte. Natürlich kam ich nicht an ihn heran und morgens sah ich die Spuren verzweifelter Ausbruchsversuche. Wieder einmal fühle ich mich elend, fragte mich, was ich dem Wildling eigentlich antat. Aber dann sah ich in sein getrübtes Auge, sah die Wunde darunter, die dick vollgesogenen Zecken, die in seinen Decken lagen und den Durchfall. Wie lange hätte er unversorgt noch überleben können?
Die Antibiose, Schmerzmittel/Entzündugshemmer und naturheilkundlichen Präparate nahm er zum Glück anstandslos mit dem Futter. Eine Woche später war sein Termin in der Praxis: Kastration, Chippen, Kontrolle auf weitere Parasiten und der (negative! hurra!) Test auf FIV und FeLV waren Routine. Die nähere Begutachtung des Auges, zeigte, dass die Verletzung der Hornhaut nicht akut und bereits vernarbt war. An der partiellen Hornhauttrübung ist also auch nichts mehr zu ändern. Eine böse Überraschung brachte die Zahnsanierung. Nach der Entfernung des massiven Zahnsteins zeigte sich zwar ein vollständiges Gebiss mit schönen Zähnen (weshalb der Kater so alt nicht sein wird; wir schätzen ihn auf ca. 5 Jahre). Aber eine schwere Parodontitis hatte etliche Halteapparate bereits so angegriffen, dass 8 Zähne gezogen werden mussten. Hier geht die Tierärztin leider von einer genetischen Veranlagung aus. Eventuell müssen in den nächsten Jahren weitere Zähne gezogen werden, vielleicht kommt die Erkrankung bei jetzt sorgfältiger Versorgung aber auch zum Stillstand.
Frisch operiert zog Occhio nun in’s Katzenzimmer, wo er sich erholen und zur Ruhe kommen kann. Natürlich ist ihm, der draußen geboren wurde, alles ein wenig unheimlich. Aber er sieht die anderen Katzen (Karlchen und Luna) und ruft sogar nach ihnen. Er benutzt inzwischen das Katzenklo, liegt wechselnd in den Höhlen und frisst weiterhin gut. Der Test auf Giardien war auch negativ, der Blutbefund zeigt ein grenzwertig niedriges rotes Blutbild und einen recht hohen Harnstoffwert, ist aber ansonsten in Ordnung. Ab jetzt werde ich die Tür seines Abteils öffnen, während ich unten bin und gespannt warten, was passieren wird.
Eine Weile wird der Kater noch bei mir bleiben, bis er auf einem guten Weg und geimpft sein wird. Dann gebe ich ihn in’s Tierheim und hoffe auf ein wunderschönes, sorgfältiges Zuhause mit einem netten Katzenkumpel für den ehemaligen Streuner.
Occhios Geschichte zeigt einmal mehr, dass Katzen eben nicht draußen zurecht kommen, wenn sie ganz auf sich gestellt sind. Das vermeintlich „schöne, freie“ Leben der unkastrierten Streuner ist ein elendes. Leider beobachten wir aktuell (trotz inzwischen vielerorts eingeführter Pflicht zur Kastration, Kennzeichnung und Registrierung) einen deutlichen Anstieg verwilderter Hauskatzen und derer Nachkommen. Die Gründe sind mehrere, einer ist sicher, dass sich die Tiere aufgrund der milderen Temperaturen häufiger reproduzieren. In den Tierschutzvereinen befinden sich bereits jetzt die ersten hochtragenden Kätzinnen. In Euskirchen wurde eine Mutter in miserablem Zustand mit 2 Neugeborenen gefunden. Die „Straßenkatzen Köln“ konnten ein Kind nur noch tot bergen. Es war in der Erdkuhle, in der es sich ein Nest aus Glaswolle geschaffen hatte, verhungert und erfroren. Eine Kätzin deren Alter auf 3 Moante geschätzt wurde: sie musste also Anfang Dezember geboren worden sein.
https://www.facebook.com/strassenkatzen.koeln.ev/
Ich werde nicht müde an Sie alle zu appellieren: bitte schauen Sie nicht weg, wenn Sie kranke Katzen, und solche, von denen Sie glauben, dass sie unkastriert sind, sehen. Achten Sie auf unbekannte Neuzugänge, auch wenn diese vermeintlich (noch) gut aussehen und klären zügig deren Status (Kennzeichnung, kastriert, Gesundheitszustand). Füttern Sie keine Tiere, ohne sie auch medizinisch versorgen (und kastrieren!) zu lassen. Leisten Sie Aufklärungsarbeit. Hilfe bekommen Sie (hoffentlich!) bei den örtlichen Katzenschutz- oder Tierschutzverein. Nur gemeinsam können wir weiteres Elend verhindern, einige Katzenleben besser machen und im schönsten Falle eine entlaufene Katze zu ihren Besitzern zurückführen.
Titelbild: mit freundlicher Genehmigung der Tierarztpraxis